Szenenwechsel im
Kulturbahnhof kreuztal
"Woran ich mich erinner, lässt sich nicht fassen"
Vorübergehend
neue Öffnungszeiten:

Montag - Freitag
6.30 - 10.30 Uhr und
14.30 Uhr - 18.30 Uhr

Ausstellung // Szenenwechsel XXIV

Sarah Maria Besgen

World Wide Polaroid

Philipp Wiedemann

whatididlastsummer

Annette Besgen
Zur Ausstellung von
Sarah Maria Besgen + Philipp Wiedemann

Teil 1: Mit Polaroid reisen ohne anzukommen
Die Sofortbildtechnik wurde Ende der 40er Jahre von dem Amerikaner Edwin Land entwickelt. Sie stand für Fortschritt, war aber auch ein Symbol der Popkulturbewegung. So haben schon Künstler wie Andy Warhol, Robert Mapplethorpe und Patty Smith mit diesem Medium experimentiert. Es entsprach dem Zeitgeist, mit Polaroid zu fotografieren, obwohl es damals wie heute weder ein billiges Vergnügen, noch das Ergebnis immer technisch brillant war. Aber nur die Polaroid-Kamera erlaubt es einem Fotografen, sofort nach der Aufnahme ein Papierbild in der Hand zu halten.
Diese Lust am Sofortbild und die Arbeit mit einem Medium, das an sich schon mit dem Zauber der Vergänglichkeit behaftet ist, waren wohl auch für Sarah Motivation genug, sich dieser Art der Fotografie zu verschreiben.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich der Mensch bewegen muss, um Welt zu erfahren. Dabei liegen dem Reisen oder Unterwegssein ambivalente Gedanken und Gefühle zugrunde. Der Wunsch unbekannte Orte aufzusuchen ist verbunden mit der Sehnsucht nach dem Ort, der dazu verlassen werden muss. So entsteht ein Schwanken zwischen Heimweh und Fernweh.
Das Prinzip Sehnsucht und die nicht immer ganz angstfreie Neugierde auf etwas Unbestimmtes hin, sind auch für Sarah Antrieb und Basis für ihre Unternehmungen.
Dabei findet sie ihre Motive nicht nur auf ausgedehnten Reisen. Es können auch Stippvisiten bei Freunden oder Verwandten sein, Pausen bei Dreharbeiten oder Sehnsuchtstrips zu gezielt ausgesuchten Orten, wie Friedhöfe, industrielles Brachland oder Geisterstädte.
Was ihr unterwegs oder am Bestimmungsort wiederfährt, ist nicht vorhersehbar. Zu hohe Erwartungen oder vorgefertigte Bilder erweisen sich zu oft als Enttäuschung. Diese Erfahrung führte zu der Einstellung, die Dinge auf sich zukommen zu lassen und die unkontrollierbaren Prozesse zu akzeptieren.
In dem Katalog „World Wide Polaroid“ schreibt Jochen Dietrich dazu:
„Für sie sind die unvollkommenen Materialien und die zugehörigen, etwas angestoßenen Kameras reizvoll und spannend. Sie kennt zwar auch die Frustration, wenn man noch eins und noch eins der teuren Bildchen durch die Kamera jagt und nichts dabei herauskommt. Sie erzählt aber auch ... von dem langen Warten und ‚daneben stehen‘, schließlich von dem Moment, wo es plötzlich doch gelingt und einem das Ergebnis zufällt wie ein Geschenk.“
Einige dieser Geschenke, fotografische Notizen von unterwegs, sehen wir nun hier in dieser Präsentation. Wer versucht, die einzelnen Aufnahmen theoretisch zu überfrachten oder hintergründige Intentionen zu erahnen, befindet sich auf dem Holzweg. Wer versucht, die Bildreihen zu ordnen, zu systematisieren oder in ein komplexes Beziehungssystem zu setzen, wird scheitern. Sarah verweigert sich bewusst einer wie auch immer gearteten Festlegung, weil nicht eine Theorie oder ein Konzept ihre Kunst bestimmt, sondern der pure Zufall. Sie „adoptiert“ (ein Wort von Jochen Dietrich) nur die fotografischen Ergebnisse als die ihrigen, die ihr selbst etwas sagen, sie berühren, verzaubern, an etwas erinnern, verstören. In dem Moment ist das Bild ein Spiegel für ihre Projektionen, und da Sarah den Spiegel an uns weitergibt natürlich auch für unsere.

Teil 2: Kino im Kopf oder „Was Modelle können“
Ich denke, dass kein anderes Fortbewegungsmittel eine so wichtige Rolle im Film spielt, wie der Zug. Für Filmemacher sind Eisenbahnen, Waggons oder Abteile dankbare Handlungsorte, strotzen diese doch vor Symbolkraft: Flüchten und Verweilen, Enge und Erotik, Mord, Totschlag und Deportation. Züge werden von Terroristen entführt, von Räubern überfallen, durch Bomben zerstört und ständig lassen Indianer sie entgleisen.
Wir haben sofort Szenen im Kopf, bewegte Bilder und Geräusche. Ein Zug, der die Wildnis, die einsame Natur durchquert, ein Zug, der im Bahnhof einfährt, die Räder, das Schnaufen und Kreischen der Bremsen, die gewaltige Masse Stahl, wie sie zum Stehen kommt. In seinem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ hat Sergio Leone es fertiggebracht, den sehnsüchtig erwarteten Moment um eine Viertelstunde hinauszuzögern. Der Zug fährt schließlich direkt auf den Betrachter zu.
Diese medial geprägten Versatzstücke werden durch eigene Erfahrungen und Emotionen angereichert. Wir verbinden die Zugreise mit Trennung, Abschied und Wiedersehen, mit der Vorfreude auf ein ausgesuchtes Ziel, mit vorbeiziehenden Szenen usw.
Verhält sich das nun auch so, wenn wir Philipps Zug begegnen?
Ja und nein. Sein Objekt ist in erkennbarer Weise ein Zug, eine Lok mit fünf Waggons. Die bekannten Erinnerungen werden wach gerufen, unsere Imagination aktiviert. Aber die Wirkung ist in vielerlei Hinsicht gebrochen. Der Zug ist aus Holz und nicht aus Stahl, er funktioniert nicht, wir können nicht einsteigen und losfahren, schon weil er viel zu klein ist. Durch die Maßstäblichkeit wird dem Betrachter der Unterschied zum eigenen Erfahrungsraum bewusst.
Wir haben es mit einem Modell zu tun. Aber wiederum nicht mit einer maßstabsgerecht verkleinerten Modelleisenbahn, sondern mit einem künstlerischen Modell. Dieses folgt im prozesshaften Entstehen und der unkonventionellen Verwendung des Materials seinen eigenen Regeln. Wir „begutachten“ das fertige Produkt vermutlich nicht ohne ein Schmunzeln, da es eine durchaus karikative oder absurde Wirkung hat. Diese ist gewollt und schafft eine Distanz zum Original und zum Betrachter.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die derzeitige Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen verweisen, die das Architekturmodell in der zeitgenössischen Kunst thematisiert. Sie trägt den Titel: „Was Modelle können“
Philipps Zug erinnert mich an die in der Ausstellung zu sehende Arbeit „Trailer“ von Christian Haake, wo ein Wohnwagen wie geschrumpft auf einer Holzpalette parkt. Obwohl die Ausführungen der beiden Kunstobjekte sehr verschieden sind, wird der Betrachter bei beiden in die Position des Riesen versetzt, der es nicht schafft, das Vehikel zu betreten. Die Dinge sind auf Zwergenniveau verkleinert, aber nicht so winzig, dass der Erwachsene das Modell wie ein Spielzeug erfährt. Beide Modelle bewegen sich zwischen Originalgröße und Miniatur und das macht den besonderen Reiz aus.

Teil 3: ankommen – hiersein - weggehen
Sarah und Philipp ist es gelungen, eine überzeugende Symbiose zwischen den Polaroids und dem Zugmodell herzustellen. Ein Gesamtkunstwerk mit diesen unterschiedlichen Medien zu schaffen, in denen die beiden künstlerischen Ausrichtungen sowohl getrennt voneinander als auch als eine Einheit zu verstehen sind, haben eine verblüffend einfache Lösung gefunden:
Die Rahmen der Polaroids fungieren als Fensterrahmen eines Zuges, der in seiner Kuriosität, wie aus einer anderen Welt stammend, in diesen Bahnhof gelangt ist. Die Fotos sind gleichsam die Passagiere. Sie „schauen“ nach draußen, auf die Leute hier vor Ort, auf uns, die Betrachter. Wir können an dem stehenden Zug vorbeischlendern und die Reisenden des Zuges betrachten, sie bringen unsere eigenen Gedanken in Fahrt, animieren uns zu einer persönlichen Reise im Kopf.
Aus Ihrem virtuellen Zugreise müssen Sie nun aber vorerst „aussteigen“ und wer noch Lust hat, sich den schon angekündigten, sehr kurzweiligen Film anzusehen, ist eingeladen dies weiter vorne im Foyer zu tun.